Die Studie von Christina Mahrhofer (2004)

Seitens der Grundschriftbefürworter (vgl. Bartnitzky / Hecker 2014) wird die Dissertationsschrift von Christina Mahrhofer als wissenschaftliches Referenzwerk gehandelt, weshalb auf deren zentrale Ergebnisse eingegangen werden soll. Durch Namenserweiterung heißt Frau Mahrhofer mittlerweile Mahrhofer-Bernt und veröffentlicht als Grundschriftbefürworterin im Grundschulverband an anderer Stelle (Mahrhofer-Bernt, 2011a, 2011b).

1. Titel und Literaturnachweis

Mahrhofer, Christina (2004): Schreibenlernen mit graphomotorisch vereinfachten Schreibvorlagen. Eine experimentelle Studie zum Erwerb der verbundenen Ausgangsschrift in der 1. und 2. Jahrgangsstufe. Verlag J. Klinkhardt, Bad Heilbrunn (ursprünglich eingereicht als Dissertation an der LMU München Fakultät Psychologie und Pädagogik im Jahr 2002).

2. Verortung und Forschungshypothesen

„Im Verständnis der vorliegenden Arbeit ist für das Schreibenlernen nicht die Interferenzfreiheit [...] maßgeblich. Von Bedeutung ist vielmehr das Kriterium der Kontrolle und der Bewußtheit. Diese beiden Aspekte werden auch im Ansatz der rehabilitativen Schreibförderung von Mai und Mitarbeitern zur Bestimmung automatisierter Schreibbewegungen verwendet (vgl. Mai 1991, Mai / Marquardt 1992, Mai / Marquardt 1995b, Quenzel 2004, usw.). Der in dieser Schreibförderung entwickelte Ansatz von Mai und Mitarbeitern zur Erleichterung des Schreiblernprozesses bildet den Ausgangspunkt zur Entwicklung des LufT-Projekts.” (zit. n. Mahrhofer, 2004: 86; eckige Klammer verweist auf die Auslassung eines Fußnotenverweises durch G.T.)

Die Studie untersucht die Effekte eines speziellen Schreibtrainings "LufT-lockere und flüssige Textproduktion". Dieses Training bringt den Kindern eine druckschriftangelehnte Schreibweise ("LufT-Schrift") bei, bei der Buchstabenverbindungen ausgeführt werden können. Verglichen wurden diese Kinder mit zwei Kontrollgruppen: Jeweils zwei Klassen, die Vereinfachte Ausgangsschrift bzw. Lateinische Ausgangsschrift im Anschluss an eine Druckschrift lernten.

„Um die in Abschnitt 5.1 beschriebenen Ziele zu erreichen, prägen den LufT-Schreibunterricht die drei genannten zentralen Prinzipien: Richtvorgaben, Wahlmöglichkeiten, Selbsteinschätzung. In diesen Prinzipien spiegelt sich eine übergeordnete Vorstellung, in der das lernende Kind mit seinen individuellen Bedürfnissen und der [sic!] ihm eigenen Kompetenzen als ein Konstrukteur seines eigenen Lernprozesses verstanden wird. Geht man von diesem konstruktivistischen Grundansatz aus, gibt es gar keine andere Möglichkeit, als den Schreibunterricht als ein Angebot zu verstehen, aus dem das Schreiben lernende Kind sich sozusagen seinen Lernbedürfnissen entsprechend bedient. Alle Prinzipien, die im LufT-Schreibunterricht als grundlegend verstanden werden, leiten sich aus dieser Vorstellung ab.” (zit. n. Mahrhofer 2004:188; kursive Hervorhebungen im Original)

Mahrhofers Forschungshypothese lautet wie folgt:

Die Kinder, die mit dem LufT-Schreiblehrgang unterrichtet werden, zeigen eine leserlichere, schnellere und flüssigere Schreibschrift als Kinder, die im herkömmlichen Unterricht mit der Lateinischen oder der Vereinfachten Ausgangsschrift unterrichtet werden.” (zit. ebd. S. 222; Kursiv im Original)

3. Untersuchungsdesign

3.1 Untersuchungszeitraum und Studienaufbau

Die Studie ist als Längsschnittuntersuchung vom Zeitraum Mitte der ersten Klasse bis Ende der zweiten Klasse angelegt, die vom Dezember 1998 bis Juli 2000 dauerte. In diesem Zeitfenster wurden folgende Datenerhebungen durchgeführt:

3.2 Anzahl der Untersuchungspersonen

Die Untersuchung umfasste maximal 153 Untersuchungspersonen (Upn). Es ergaben sich jedoch an den einzelnen Untersuchungsterminen deutliche Ausfälle bei der Verfügbarkeit der untersuchten Kinder (vgl. ebd. S. 299), weshalb die Anzahl der Upn zu den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten deutlich schwankte (s.u. Kapitel 5).

3.3 Die Zusammensetzung der Treatmentgruppen

Die Zusammensetzung der Treatmentgruppen zeigte sich hinsichtlich der Parallelisierung unausgewogen, weshalb die geschlechts- und nationalitätsbezogene Verteilung in den Treatmentgruppen tabellarisch aufgeführt wird.

Geschlechtsanteil Jungen Mädchen
LufT-Schreibunterricht 38% 62%
Lateinische Ausgangsschrift 56,2% 43,8%
Vereinfachte Ausgangsschrift 43,6% 56,4%

Tabelle 1: Geschlechterverteilung in den Treatmentgruppen (vgl. ebd. S. 247, Tabelle 6-6)


Nationalität deutsch andere
LufT-Schreibunterricht 72% 28%
Lateinische Ausgangsschrift 77% 23%
Vereinfachte Ausgangsschrift 45% 55%

Tabelle 2: Nationalität der Upn in den Treatmentgruppen (vgl. ebd. S. 247, Tabelle 6-6, teilweise mit fehlerhaften Summenwertberechnungen im Original)

3.4 Voruntersuchungen

Bezogen auf die Flüssigkeit (gemeint sind hierbei Geschwindigkeitswechsel im Schriftzug) und Schnelligkeit der Schreibbewegungen zeigen sich zum ersten Testzeitpunkt zu Beginn der Erhebung in den 3 Grundelementen des Schreibens (Schreibbewegungen aus dem Handgelenk; Schreibbewegungen aus den Fingern; kombinierte Handgelenk-Finger-Bewegungen) keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Auch bei den Rechtschreibleistungen zeigten sich zu Beginn der Untersuchung keine signifikanten Unterschiede in den Treatmentgruppen.

4. Ergebnisse

4.1 Leserlichkeit

In der Studie folgen Untersuchungen zur Leserlichkeit gemessen an der Schriftqualität von Texten erhoben am Beginn und am Ende der zweiten Klasse. Die Schriftqualität wurde durch ein externes Schriftrating bewertet.Die hierbei berechenbaren Mittelwerte für die Leserlichkeit lagen wie folgt:

Mittelwert Leserlichkeit Anfang 2. Schuljahr Ende 2. Schuljahr
Luft-Schreibunterricht 3,3 3,0
Lateinische Ausgangsschrift 3,9 3,6
Vereinfachte Ausgangsschrift 3,4 3,4

Tabelle 3: Mittelwerte bei der Leserlichkeitsbewertung (vgl. Mahrhofer, 2004, S. 277)

Diese Tendenz zeigte sich auch bei der Analyse auf der Ebene einzelner Items der Leserlichkeitsbewertung:

„Die LUFT-Schriftproben zeigten auch auf Einzelitemebene tendenziell etwas niedrigere Werte, die sich aber höchstens im Bereich eines halben bis maximal eines ganzen Skalenpunktes bewegten.” (zit. ebd. 281)

Die Ergebnisse zeigen, dass die Forschungshypothese zur Leserlichkeit zurückgewiesen werden muss und sogar ein gegenteiliger Trend im Sinne einer geringeren Leserlichkeit der LUFT-Schrift gegenüber Vereinfachter Ausgangsschrift und Lateinischer Ausgangsschrift beobachtet werden konnte.

4.2 Schreibmotorische Bewegungsausführung

Die Ergebnisse auf der Musterebene (1. senkrechte Striche mehrfach nacheinander ausgeführt; 2. Druckschrift "l" mehrfach nacheinander ausgeführt) beschreibt Mahrhofer wie folgt:

„Bei der Ausführung der Muster zeigen sich bei der untersuchten Gruppe [gemeint sind alle Treatmentgruppen] insgesamt deutlich unflüssigere Bewegungen als auf der Ebene der Grundmuster. Darüber hinaus sind auch zwischen den Mustern die Bewegungen unterschiedlich flüssig. Bei den Bewegungen für die Reihe Druckschrift-l wird die Geschwindigkeit deutlich häufiger korrigiert als bei der Reihe mit einfachen senkrechten Strichen. Dies ist auch bei den einzelnen Gruppen festzustellen. Über die beiden Schuljahre hinaus zeigte sich eine Verbesserung in allen drei Gruppen hin zu flüssigeren Bewegungen.” (zit. ebd.: 298; Hinzufügung in eckiger Klammer durch G.T.)

Eine differenzierte Aussage zu statistischen Unterschieden zwischen den einzelnen Treatmentgruppen erfolgt durch Mahrhofer nicht, es ist anhand der graphisch dargestellten Ergebnisse nicht von signifikanten Unterschieden auszugehen.

4.3 Schreiben eines Einzelwortes

Beim Vergleich der Schreibung des Wortes "Luft" kam es in der Studie von Mahrhofer zu erheblichen Stichprobenausfällen, so dass die Ergebnisberechnungen letztlich auf der Basis einer Zufallsstichprobe von n =29 Schreibproben aus allen Treatmentgruppen stattfanden (zur Diskussion dieses Sachverhaltes siehe unten Kapitel 5).

Bei den Ergebnissen auf Wortebene (Schreiben des Wortes "Luft") schnitt die VA-Gruppe hinsichtlich der Aspekte Schreibgeschwindigkeit und Schreibflüssigkeit Mitte der 2. Klasse statistisch signifikant niedriger ab als die LA- und die LUFT-Gruppe ab. Gegen Ende der zweiten Klasse zeigte sich nur noch eine statistisch bedeutsame Überlegenheit der LUFT-Gruppe gegenüber der VA bei der Schreibgeschwindigkeit (vgl. ebd.: 309ff.). Zusammenfassend folgert Mahrhofer:

„Die Kinder der LUFT-Gruppe schreiben tendenziell flüssiger und schneller als die Kinder der LA- und VA-Gruppe. (...) Insgesamt kann durch die Auswertung des Wortes "Luft" keine generelle Überlegenheit der Luft-Gruppe zu allen drei Meßzeitpunkten belegt werden.” (zit. ebd.: 312)

Die aufgestellte Forschungshypothese muss auf der Wortebene daher zurückgewiesen werden.

4.4 Schreiben eines Satzes

Mahrhofer vergleicht an drei Untersuchungszeitpunkten des zweiten Schuljahres die Schreibflüssigkeit und die Schreibschnelligkeit bei dem auf einem elektronischen Registriergerät zu schreibenden Satz ('Die Kinder lachen'). Mahrhofer berichtet hinsichtlich der Schreibflüssigkeit eine "leichte Überlegenheit der LUFT-Gruppe" (vgl. ebd. S. 316) beim Vergleich der Treatmentgruppen, die sich jedoch nicht als statistisch bedeutsam erwies (siehe unten).

Im Hinblick auf die Schreibschnelligkeit berichtet Mahrhofer wie folgt:

„Dabei zeigte sich, dass die LUFT-Gruppe sowohl mit als auch ohne Linienvorgabe schneller schreibt als die VA-Gruppe (Ausnahme: ohne Linien im April des zweiten Schuljahres). Statistisch bedeutsam schneller als die LA-Gruppe schreibt die LUFT-Gruppe am Ende der zweiten Klasse bei der Vorgabe von Linien.” (zit. n. Mahrhofer, 2004: 320)

Die Zusammenfassung der Ergebnisse auf Satzebene zur Schreibflüssigkeit und Schreibschnelligkeit durch Mahrhofer lautet wie folgt:

„Gleichzeitig entsteht in den Sichtbefunden und auf der Basis der statistischen Kennwerte der Eindruck, dass die LUFT-Gruppe schneller und flüssiger schreibt als die beiden anderen Gruppen. Diese Unterschiede erweisen sich jedoch nicht systematisch als statistisch bedeutsam.” (zit. ebd. S. 323)

Somit muss hinsichtlich der Schreibflüssigkeit und auch der Schreibschnelligkeit die aufgestellte Forschungshypothese zurückgewiesen werden, da sich statistisch in beiden Dimensionen keine durchgängige Überlegenheit zeigt.

5. Kommentierte Bewertung

In der Zusammenschau müssen sämtliche Forschungshypothesen von Mahrhofer, die eine signifikante Überlegenheit des LUFT-Treatments behaupten, zurückgehwiesen werden.

Die Studie von Mahrhofer leidet bedauerlicherweise auch unter einer unausgewogenen Stichprobenzusammensetzung. In der LUFT-Treatmentgruppe finden sich prozentual die meisten Mädchen (s.o. Kapitel 3.3), was sich potentiell vorteilhaft verzerrend auf die Ergebnisse der Treatmentgruppe auswirken kann. Eine geschlechtsbezogen differenzierender Ergebnisüberblick wird für keine der Untersuchungskategorien gegeben, weshalb die potentielle Ergebnisverzerrung nicht ausgeschlossen werden kann. Auch der überproportional hohe Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bei den Schülern, die die Vereinfachte Ausgangsschrift lernten, muss im Hinblick auf die Ergebnisinterpretation als ungünstig angesehen werden.

Es bleibt in diesem Zusammenhang noch einmal hervorzuheben, dass die Dimensionen "Schreibschnelligkeit" wie auch "Schreibflüssigkeit" vorrangig operationalisiert wurden durch das Schreiben von nur 4 Wörtern (das Wort "Luft" sowie drei weitere Worte im Satzverbund "Die Kinder lachen"). Dies bedeutet, dass im Rahmen der Untersuchung von Mahrhofer Schreibschnelligkeit und Schreibflüssigkeit keinesfalls gleichgesetzt werden dürfen mit Schreibperformanz unter realen Alltagsanforderungen.

Eine auffallende Auslassung in der Darstellung von Untersuchungsergebnissen zeigt sich auf der untersuchten (Schreib-) Muster (wiederholte senkrechte Abwärtsstriche, wiederholte Druckschrift-l, Doppelschleifen). Während die beiden ersten Muster an allen 6 Erhebungszeitpunkten (Dez./Jan. 1999, April 1999, Juli 1999, November 1999, März 2000, Juli 2000; vgl. hierzu Tabelle 6.33, S. 292) erhoben wurden, wurden die Doppelschleifen nur an den letzten 4 Erhebungszeitpunkten untersucht. Mahrhofer führt jedoch keine entsprechenden Ergebnisse an sondern vergleicht ausschließlich die Entwicklung bei den senkrechten Abstrichen und Druckschrift-l. Es erscheint äußerst ungewöhnlich, dass in einer empirischen Untersuchung erhobene Daten bei den Ergebnissen nicht zur Darstellung gelangen. Ebenfalls erscheint ungewöhnlich, dass der Verzicht auf die Ergebnisdarstellung bei den Doppelschleifen nicht speziell begründet wird. An der Ausführung von Doppelschleifen (entspricht mehreren Schreibschrift-l hintereinander) könnten am ehesten kombinierte Finger-Handbewegungen operationalisiert werden. Gleichzeitig dürften hier am ehesten Unterschiede zwischen den verbundenen Schrifttypen (LA, VA) und der der untersuchten LufT-Schrift erwartet werden.

Die Verringerung der Anzahl der einbezogenen Untersuchungsergebnisse bei der Wortschreibeaufgabe durch die Nutzung von Zufallsstichproben aus den Treatmentgruppen, von denen vorrangig die LA- und die VA-Treatmentgruppe betroffenen sind, bedingt die Möglichkeit weiterer Stichprobenverzerrungen. Grund für diese niedrige Zahl von berücksichtigbaren der Schreibproben waren die erheblichen Stichprobenausfälle im LUFT-Treatment im November 2000 (erster von drei Untersuchungsterminen in Klasse 2). Warum aus einer potentiell 50 Kinder umfassenden LUFT-Treatmentgruppe zu diesem Zeitpunkt nur 29 verwertbare Schreibproben generierbar waren, erklärt Mahrhofer nicht genauer. Die VA- und LA-Treatmentgruppe wurden dann durch Ziehung einer zufälligen Stichprobe auf jeweils 29 Ergebnisse reduziert. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass - über alle drei Messzeitpunkte summiert, aus dem LUFT-Treatment 8, aus dem LA-Treatment 18 und aus dem VA-Treatment 24 gültige Ergebnisse ausgeschlossen werden (vgl. ebd. S. 299). Mahrhofer geht auf die dadurch bestehende Möglichkeit von Stichprobenverzerrungen nicht spezifischer ein und stellt auch keine Mittelwertvergleiche auf der Basis sämtlicher verwertbarer Untersuchungsergebnisse dar. Mit diesen hätte eine Repräsentativität der Zufallsstichprobe für das Gesamtergebniss der jeweiligen Treatmentgruppe überprüft werden können. Auch ein durch die zufällige Ergebniszuteilung ggf. sich verändernde Geschlechterproporz wird zur Überprüfung an keiner Stelle ihrer Dissertationsschrift dargestellt.

Literatur:



© 2016 Götz Taubert, D-87700 Memmingen. Jede Art der Vervielfältigung, der Wiedergabe in Medien oder öffentliche Lesungen, auszugsweise oder im Ganzen nur mit Genehmigung des Autors. Alle Rechte vorbehalten!